Auf dem Weg zum klimaneutralen Auto

Wie kann die Automobilindustrie klimaneutral werden? Darüber diskutierte FernUni-Professor Karsten Kieckhäfer bei einer Tagung am 27. September mit Vertretern aus der Praxis.


Foto: Monty Rakusen/Image Source/Getty Images
Die Automobilindustrie hat mit dem Klimaschutzgesetz eine sportliche Aufgabe bekommen: klimaneutral bis 2045.

Der Preis, den die Natur für ein Auto zahlt, ist enorm; allein der Kraftstoffverbrauch in einem einzigen Autoleben gewaltig. Knapp 50 Tonnen Kohlendioxid soll ein VW Passat über den ganzen Lebenszyklus verursachen, 40 Tonnen eine Mercedes C-Klasse – je nachdem, ob Diesel oder Benziner –, sagt eine Studie der Universität der Bundeswehr München. Nicht nur der Kraftstoffverbrauch trägt dazu bei, sondern auch die Produktion der Einzelteile und der Rohstoffabbau. Das gilt übrigens für Elektrofahrzeuge ganz genauso. Der Abbau von Kobalt, Lithium, Nickel für die Batterien ist oftmals Raubbau an Menschen und Umwelt. Das Klimaziel der Bundesregierung macht es nicht leichter: klimaneutral leben und wirtschaften bis 2045. „Wir haben keine andere Wahl, als dieses Ziel zu erreichen, wenn wir den Klimawandel und die damit verbundenen Folgen in Grenzen halten möchten“, unterstreicht Prof. Dr. Karsten Kieckhäfer von der FernUniversität in Hagen die Notwendigkeit des Vorhabens.

Elektroautos haben laut dem Wissenschaftler dennoch einen entscheidenden Vorteil gegenüber Verbrennungsmotoren: „Sobald sie mit Strom aus erneuerbaren Energien geladen werden, verursachen sie Null Gramm CO2-Emmissionen im Betrieb.“ Und auch der Stromverbrauch bei der Produktion der Batteriezellen ist nicht so hoch wie noch vor wenigen Jahren angenommen. „Man könnte sagen, dass der ökologische Rucksack einer Batterie nicht so voll ist, wie gedacht. Die aktuelle Studienlage ist hier eindeutig“, erklärt Kieckhäfer.

Der klimaneutrale Kühlergrill

Allerdings steht Deutschland gerade eine Energiekrise bevor und ein Auto besteht aus mehr als seinem Antrieb. Oliver Kortenjann ist Nachhaltigkeitsmanager bei GERHARDI Kunststofftechnik, einer der größten Automobilzuliefererbetriebe in Europa in diesem Bereich. Das Unternehmen entwickelt und produziert galvanisierte und lackierte Kunststoffteile. Spezialgebiet: Kühlerschutzgitter.

Prof. Dr. Karsten Kieckhäfer Foto: Leevke Struck

„Auf der einen Seite befinden sich die mächtigen Automobilhersteller, auf der anderen Seite mächtige Lieferanten von Vorprodukten und Rohstoffen, dazwischen die Zulieferer, die aufpassen müssen, nicht zwischen Nachhaltigkeitszielen, Kostendruck und Qualitätsanforderungen zerdrückt zu werden.“

Prof. Dr. Karsten Kieckhäfer

Trotz der Widrigkeiten: Bereits zwei Drittel der GERHARDI-Produktion laufen schon CO2-neutral. „Wir sind zuversichtlich, im kommenden Jahr 2023 zu hundert Prozent CO2-neutral produzieren zu können“, sagt der Health-Safety-Environment-Manager, der neben der Nachhaltigkeit für die Arbeitsbereiche Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz zuständig ist. Das erreicht das Unternehmen zum Beispiel mit Hilfe einer speziellen Abwasservorbehandlungsanlage oder einem effizienteren Kühlungssystem, um nur zwei der vielen Maßnahmen zu nennen. „Allerdings gelingt uns das nicht ohne höhere Kosten“, über die sich Kortenjann am liebsten in der weltpolitisch angespannten Lage gar keine Gedanken machen möchte. Allein die steigenden Strompreise werden für das Unternehmen eine Herausforderung sein.

Hersteller und Zulieferer im Gespräch

Auch wenn GERHARDI ein Unternehmen ist, das sich aus freien Stücken für den Umweltschutz einsetzt, ist es kein Geheimnis, dass Automobilhersteller die treibende Kraft sind. Sie fordern die Nachhaltigkeitsziele, die ihnen das Klimaschutzgesetz auferlegt, aktiv von ihren Zulieferern ein. Für Prof. Kieckhäfer, der sich als Wissenschaftler auf neutralem Boden bewegt, eine undankbare Position. „Automobilzulieferer wie GERHARDI befinden sich in einer Sandwichposition. Auf der einen Seite befinden sich die mächtigen Automobilhersteller, auf der anderen Seite mächtige Lieferanten von Vorprodukten und Rohstoffen, dazwischen die Zulieferer, die aufpassen müssen, nicht zwischen Nachhaltigkeitszielen, Kostendruck und Qualitätsanforderungen zerdrückt zu werden.“ Daher sei es wichtig, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Gelegenheit dazu bot eine Tagung, die der Professor am 27. September an der FernUniversität veranstaltete. Sie widmete sich „Nachhaltigkeit und Klimaschutz in der Automobilindustrie“. Oliver Kortenjann von GERHARDI gab Einblicke in weitere Nachhaltigkeitsaktivitäten in seinem Unternehmen. Sören Ahlfs, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Produktion und Logistik berichtet davon, wie die Forschung der FernUniversität dabei unterstützen konnte. Vonseiten der Automobilhersteller sprach Dr. Can Yilmaz, zuständig für Dekarbonisierung im Bereich Außenbeziehungen und Nachhaltigkeit bei Volkswagen Nutzfahrzeuge, über das Umweltleitbild des Unternehmens und die Reduzierung von Kohlendioxidemissionen durch den Einsatz kohlenstoffarmer Energiequellen entlang der Wertschöpfungskette. In den Austausch flossen Forschungsperspektiven ebenso ein wie Erfahrungen und Vorhaben aus den zwei großen Lagern der Automobilindustrie.

 

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Sarah Müller | 29.09.2022