Begriffe im Bedeutungswandel
Was bedeutet Glück? „Das kommt darauf an“, sagt Philosoph Prof. Dr. Hubertus Busche, der an der FernUniversität zu Begriffsgeschichte forscht.
„Im Deutschen haben wir ein Wort für drei Bedeutungen: Glück kann günstiger Zufall, sich glücklich fühlen oder das Glücken eigener Ziele meinen. Andere Sprachen wie das Englische haben unterschiedliche Worte dafür: fortune, happiness oder success.“ Kein Wunder also, wenn wir uns manchmal nicht verständigen können oder aneinander vorbeireden. Deshalb entstand erstmals in der Philosophie, dann auch in anderen Wissenschaften das Bedürfnis danach, „Rechenschaft abzulegen über Bedeutung und Bedeutungswandel ihrer tragenden Begriffe“, skizziert Busche, der an der FernUniversität das Lehrgebiet Philosophie I leitet.
Recht und billig
„Wir haben es in meiner Disziplin überwiegend mit abstrakten Begriffen zu tun wie Glück, Zeit, Fortschritt“, erläutert der FernUni-Wissenschaftler. „Je abstrakter die Begriffe sind, desto unklarer wird ihre Bedeutung. Eine weitere Quelle für Missverständnisse ist die Geschichtlichkeit und damit der Bedeutungswandel der Begriffe.“
„Hierfür ist ,billig‘ ein illustres Beispiel“, setzt Busche an. „Früher bedeutete es, etwas ist ‚angemessen‘ im Sinne von ‚wird dem Wert einer Ware gerecht‘. Dann bekam es die Bedeutung ‚preisgünstig‘ und heute wird es auch in der Bedeutung ,primitiv‘ verwendet.“ Um Missverständnisse oder Unverständnis zu mindern, ziehen immer mehr Wissenschaften die Begriffsgeschichte heran. Es geht nicht ausschließlich um den Blick zurück, insbesondere geht es den Forschenden um Verständigung und (historische) Allgemeinbildung. „Die Auseinandersetzung mit Begriffsgeschichte markiert den Selbstwert von Wissen. Sie ist ein Bildungsgut und ein Kennzeichen erhöhter Kultur in den Wissenschaften. Man kann sich reflektiert und umso genauer – und damit mündig – ausdrücken“, so Busche.
Historischer Blick zurück
Dabei ging es in der Philosophie im 18. Jahrhundert zunächst um praktische Ziele: Die Idee eines philosophischen Wörterbuchs sollte Aufklärung leisten über den „wahren Gehalt und Ursprung“ von Begriffen und „Wortstreitigkeiten“ verhindern. Im Laufe der Jahrhunderte gab es immer wieder Ansätze, die philosophische Terminologie zu systematisieren. Besonderen Auftrieb bekam die Begriffsgeschichte im 20. Jahrhundert durch die Herausgabe des „Historischen Wörterbuchs der Philosophie“, der „Geschichtlichen Grundbegriffe“ und der Zeitschrift „Archiv für Begriffsgeschichte“, dessen Mitherausgeber Hubertus Busche seit 2017 ist.
Der FernUni-Wissenschaftler setzt sich schon lange mit Begriffen auseinander: Glück, Kultur, Mode, Billigkeit, Solidarität, Geist. Darüber hat Busche jeweils ein Buch veröffentlicht. „Ein Großteil meiner eigenen Forschung lässt sich immer auch als Beitrag zur Begriffsgeschichte verstehen.“
Eine Ahnung haben
Wie man begriffsgeschichtliche Forschung betreibt, beschreibt Hubertus Busche anhand von Beispielen: „Unsere Begriffe hängen stets an Worten. Daher beginnt Begriffsgeschichte mit dem Ursprung der Worte. Teils muss dieser durch Etymologie rekonstruiert werden, wie beispielsweise beim Substantiv Ahnung, das sich von der Präposition an ableitet und folglich so viel bedeutet wie ‚was bei einem in dunkler Weise ankommt‘.“
Bei anderen Begriffen sei der Ursprung eindeutig, wenn es sich um einen neu geprägten Terminus – einen Neologismus – handele, wie beispielsweise bei der „Entelechie“ des Aristoteles. Mitunter werden Begriffe aus der Alltagssprache auf eine abstrakte Ebene übertragen, wie etwa beim griechischen „hyle“, das zunächst Holz als Rohstoff bezeichnete und von Aristoteles verallgemeinert wurde zu „Materie“ beziehungsweise “Material“.
Warum Worte einem Bedeutungswandel unterliegen, dafür gibt es die vielfältigsten Gründe. „Manchmal ist es hier nur ein einziger Kopf, der den Sprachgebrauch in eine andere Richtung lenkt. Ein gutes Beispiel hierfür ist Johann Gottfried Herders Umbesetzung des Begriffs Kultur. Das lateinische ,cultura‘ bedeutet ursprünglich die Pflege oder Bearbeitung von etwas durch ein Individuum. Herder übertrug das erstmals auf die Sitten und Gebräuche ganzer Völker und Epochen, so dass man seitdem von ‚griechischer‘ oder ‚römischer Kultur‘ sprechen konnte.“
Tagung zum Thema
Zahlreiche wissenschaftliche Fachdisziplinen ergründen seit langem Ursprünge und Bedeutungswandel von Begriffen. Aus dieser Praxis erwuchsen bisher viele historische Wörterbücher oder Lexika zur historischen Semantik. Hubertus Busche hatte im Herbst 2022 eine interdisziplinäre Tagung an der FernUniversität dazu organisiert: „Begriffsgeschichte(n) – ihre Bedeutung für Philosophie, Sozialwissenschaften, Biologie und Interdisziplinarität“. Hier wurden Erkenntnisgewinne und bewährte Ansätze der begriffsgeschichtlichen Forschung ebenso diskutiert wie Probleme und Grenzen.
„Dazu haben wir vier Wörterbuchprojekte miteinander verglichen“, beschreibt Busche. „Das war sehr fruchtbar und hat eines deutlich gemacht: Begriffsgeschichtliche Wörterbücher verfolgen in jeder Disziplin andere Interessen. Während man sich in der Philosophie auf die philosophischen Quellen beschränken kann, ist man in der Geschichtswissenschaft seit Reinhart Koselleck darum bemüht, Begriffe wie ,Rasse‘ oder ,Brüderlichkeit‘ zugleich als gesellschaftliche Indikatoren und Wirkfaktoren aufzufassen.“
Da hier möglichst der breite Sprachgebrauch der ganzen Gesellschaft eingefangen werden soll, müssen Quellen wie Parlamentsreden oder Zeitungen für den Bedeutungswandel ausgewertet werden. Diese können in einem Wörterbuchartikel nicht einzeln zitiert werden, deshalb muss hier auf bestehende Zusammenfassungen und Hypothesen der Forschung verwiesen werden. „In gewisser Weise hat es die Biologie hier am einfachsten, denn die meisten Phänomene des Lebendigen bleiben durch die Geschichte hindurch konstant und die Fortschritte sind weitgehend bloß kumulativ“, hebt Busche auf Unterschiede in der begriffsgeschichtlichen Forschung ab.