Künstliche Intelligenz – Beste Freundin oder Feind?

Beim Politischen Salon diskutierte die Hagener Stadtgesellschaft mit dem Podium. Die Reihe richten die FernUniversität, das Theater Hagen und das Emil Schuhmacher Museum aus.


Vier Personen sitzen vor rotem Vorhang Foto: FernUniversität
Auf dem Podium (v.li.): Prof. Claudia de Witt, Jörg Siegmann, Andreas Meyer-Lauber und Francis Hüsers

„Der Vorhang zu und alle Fragen offen…“ Der Politische Salon im Hagener Theater-Café endete mit einem Brecht-Zitat. Für einfache Antworten wäre das Thema wohl zu komplex gewesen: Der Abend drehte sich um „Künstliche Intelligenz“ – und damit verbunden um fantastische Zukunftsvisionen, hehre Hoffnungen, aber auch Kritik, Sorgen und Zweifel. Eine Fülle frischer Denkanstöße rund ums Leben und Arbeiten mit K.I. nahmen die Gäste in jedem Fall mit nachhause – zusammen mit der Gewissheit, dass die Materie dem Genre der Science-Fiction längst entwachsen ist. „Das ist ein zentrales Thema unserer gesellschaftlichen Entwicklung“, betonte Andreas Meyer-Lauber, Hochschulratsmitglied der FernUniversität in Hagen und Schirmherr der Reihe.

Zu Gast waren die Bildungswissenschaftlerin Prof. Dr. Claudia de Witt von der FernUniversität, Theater-Intendant Francis Hüsers und Jörg Siegmann, Mitglied der HAGENagentur sowie Projektleiter der Offenen Werkstatt Hagen. Auch im Publikum bündelte sich Fachwissen aus erster Hand: Die Gäste brachten Erfahrungen aus vielen Gesellschaftsbereichen mit – von der Medizin übers Rechtswesen, der Informatik und Politik bis hin zur regionalen Wirtschaft. Jens Helmecke (Westfalenpost) und Shaereh Shalchi (FernUniversität) moderierten die Runde.

Literarisches Gedankenspiel

Ein aktueller Erfolgsroman half dabei, das abstrakte Thema „K.I.“ greifbarer zu machen. 2019 erschien der Roman „Maschinen wie ich“ vom britischen Autor Ian McEwan. Andreas Meyer-Lauber stellte dem Publikum das Buch vor. Die Handlung spielt in einer alternativen Vergangenheit im Großbritannien der 1980er Jahre. Der Falkland-Krieg ist verloren, der berühmte Computer-Pionier Alan Turing lebt noch und die Menschheit hat unter dem Namen „Adam“ spektakuläre Maschinen entwickelt: intelligente Androiden, Männern aus Fleisch und Blut zum Verwechseln ähnlich. „Adam wird verkauft als Freund, Gehilfe, Gesprächspartner…“, so Meyer-Lauber.

Gemeinsames Format

Die Reihe „ImPuls: Politischer Salon Hagen“ richten die FernUniversität, das Emil Schuhmacher Museum und das Theater Hagen seit Frühjahr 2019 gemeinsam aus. Regelmäßig laden sie die Stadtgesellschaft dazu ein, mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlichem Leben ins Gespräch zu kommen. Ausgesuchte Veröffentlichungen aus Journalismus, Forschung und Belletristik öffnen die Tür zur Diskussion.

Der nächste Teil des Politischen Salons ist für den 26. Juni geplant und findet auf dem Campus der FernUniversität statt. Alle Infos zur Veranstaltung finden Sie rechtzeitig auf der Seite des Politischen Salons.

Sind Androiden Lebewesen?

Der junge Protagonist Charlie und seine Partnerin Miranda nehmen einen solchen Roboter bei sich auf. In kurzer Zeit stellt der rationale und rigoros moralische Adam ihr Leben auf den Kopf. Am Ende zieht Charlie die Notbremse; mit einem Hammer macht er die Maschine funktionsunfähig. Ob diese Tat nun ein Mord war oder nicht, das ist nur eine von zahllosen philosophischen Fragen, die der Roman aufwirft. Ist eine K.I. als eigenständiges Lebewesen zu betrachten? Zumindest für McEwans fiktiven Alan Turing ist die Sache eindeutig. Der Wissenschaftler macht dem Protagonisten Vorwürfe: „Sie haben versucht, ein Leben zu zerstören“, zitierte Prof. de Witt aus dem Buch, „Adam hatte Gefühle, besaß eine Persönlichkeit.“

K.I. lernt und abstrahiert

Die Bildungsforscherin Claudia de Witt erklärte dem Publikum unter anderem, ab wann die Wissenschaft überhaupt von einer K.I. spricht: „Künstliche Intelligenz zeigen heute Computersysteme und Maschinen, die komplexe Daten verhältnismäßig intelligent verarbeiten können. Intelligent ist ein System, wenn es die Fähigkeit hat, zu lernen.“ Eine K.I. könne zum Beispiel durch die Beobachtung eines Spiels darauf schließen, wie dessen Regeln funktionieren, welche Strategien zum Sieg führen und wie auf neue Spielsituationen zu reagieren ist. Erst wenn Systeme so etwas wie ein Bewusstsein entwickelten, würde die Informatik von „starker K.I.“ sprechen, so die Professorin.

Arbeiten mit der Roboter-Kollegin?

Eine solche K.I. würde dann nicht nur für einen spezifischen Anwendungszweck funktionieren, sondern ganz auf Augenhöhe mit dem Menschen arbeiten – oder ihn in manchen Fantasien gar als „Krone der Schöpfung“ ablösen. Sci-Fi-Szenarien aus der Popkultur, in denen Roboter die Menschheit versklaven, scheinen angesichts der heutigen Technik jedoch wenig bedrohlich. Wie weit die Entwicklung in der Arbeitswelt tatsächlich gediehen ist, erläuterte Jörg Siegmann mit Beispielen aus der Offenen Werkstatt Hagen. So berichtete er etwa von „Smart-Data“, also der geschickten Analyse und Strukturierung von Daten mittels Künstlicher Intelligenz. Der Nutzen hierfür ist vielfältig: „…für den Vertrieb, das Marketing, die Neukunden-Akquise, aber auch um neue Themen und Technologien zu beobachten.“ Viele Firmen hätten sich inzwischen eigene Datenroboter aufgebaut, so Siegmann. „Nadelöhr ist wiederum der Mensch, der diese Daten interpretieren muss.“

Mann mit Mikrofon spricht zum Publikum gewandt Foto: FernUniversität
Moderator Jens Helmecke bezog mit seinen Fragen gleichermaßen das Publikum mit ein.

Datennutzung durch K.I.

Zu diesem Aspekt meldete sich aus dem Publikum unter anderem Prof. Dr. Ada Pellert zu Wort. Als Rektorin der FernUniversität ist sie Mitglied im Digitalrat, der die Bundesregierung in Fragen der Digitalisierung berät. Ihrer Meinung nach bedarf es dringend einer Datenstrategie für die Politik. Ökonomie und Zivilgesellschaft müssten auf die neuen Umstände vorbereitet werden. Sie unterstrich: „Daten sind ein ganz neues Phänomen. Wir haben eine datengetriebene Wirtschaft. Die Wertschöpfung kommt aber über die Nutzung von Daten – und nicht über die Sammlung!“ Demnach sei es auch falsch, zu sagen: „Daten sind das neue Öl, das neue Gold!“

Gemeinsames Verständnis

Im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz sowie der Teilung und Nutzung von Daten sieht sie einen wichtigen Bildungsauftrag: „Wir müssen ein entsprechendes Lernen organisieren“, so Prof. Pellert. „uns Zeit nehmen, gemeinsam ein Verständnis zu entwickeln.“ Viele Menschen würden abgehängt, die Gesellschaft in Wissende und Unwissende gespalten, ohne eine breite Auseinandersetzung mit dem Thema. „Für uns ist das wichtig, und sei es auch nur, um die Welt um uns herum zu verstehen.“

Benedikt Reuse | 12.03.2020